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Feb

Aktivierung im Lindenfeld – die Wichtigkeit des Moments

Nadine Guldimann arbeitet seit fünf Jahren im Lindenfeld. Heute arbeitet sie als Aktivierungsfachfrau in Ausbildung. Gemeinsam mit unseren Bewohnenden kann sie ihrer kreativen Ader freien Lauf lassen. Schöne, geschmackvolle Sachen entstehen, die liebevoll im Lindenfeld Lädeli zum Verkauf angeboten werden. Nadine ist eine ruhige, bodenständige Frau, die Herzlichkeit ausstrahlt. Man hat das Gefühl, dass die vierfache Mutter mitten im Leben steht, angekommen ist und grosse Freude an ihrem Wirken hat.
Nadine hat einen spannenden Lebenslauf, den ich im Interview erörtern möchte – denn sie war nicht im-mer auf der aktivierenden Seite tätig, sondern startete ihre berufliche Laufbahn in der Pflege.

S. Mayer: Nadine, wenn du auf dein Berufsleben zurückblickst, wie würdest du es beschreiben?
N. Guldimann: Schön, abwechslungsreich und lehrreich. Angefangen habe ich mit 18 Jahren als Praktikantin in einem gerontopsychiatrischen Pflegeheim in Solothurn. Dort blieb ich drei Jahre. Anschliessend wechselte ich ins Solothurnische Zentrum Oberwald, eine Einrichtung für Menschen mit leichten bis schweren kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen. Anschliessend habe ich ins Blumenhaus Buchegg auf eine Wohngruppe als Betreuerin gewechselt.
Dann führte mich mein Weg in eine neue spannende und schöne Aufgabe als Mami und Hausfrau. Diese Zeit war wichtig für mich.
Nach der Scheidung von meinem Mann entschloss ich mich die SRK Pflegehelferin zu absolvieren, um wieder ins Berufsleben einsteigen zu können.
Ich blicke auf 16 lehrreiche Jahre im Bereich Gerontopsychiatrie und Demenzpflege in verschiedenen Institutionen zurück.
Vor fünf Jahren wechselte ich meinen Wohnort und meinen Job vom Kanton Solothurn in den Aargau. So führte mich mein Weg ins Lindenfeld, und ich begann meine Tätigkeit als Mitarbeiterin Pflege im Haus am Teich, da-nach auf den Wohnbereich Stadtbach. Im gerontopsychiatrischen Setting arbeite ich momentan ein Wochenende pro Monat.
Im 2022 begann ich die Ausbildung an der LeaSchule in Thun (Anmerkung: Schule für Lebensbegleitung im Alter) als Fachfrau Aktivierung. Das Timing passte perfekt, denn ich durfte zu 50% das Pensum von unserer ehemaligen Aktivierungsfachfrau, die in Pension gegangen ist, übernehmen und arbeite nun mit meiner Kollegin Vreni Rickenbacher zusammen. Das bereitet mir ganz grosse Freude!
Mein Berufsleben ist bis heute stimmig und fliessend; ich vertraue auf meinen Mut und bin offen für Neues. Ganz im Sinne „alles geschieht zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Ich bin dankbar in diesem guten Betrieb, in dem Wertschätzung gross geschrieben wird, zu arbeiten. Das ist nicht selbstverständlich. Danke!

Spannende Lebensgeschichten, die Lust auf mehr machen

S. Mayer: Was hat dich in die Pflege geführt? Hattest du Vorbilder oder war es dein eigener Wunsch?
N. Guldimann: Zum einen ist ein grosser Teil meiner Familie im Gesundheitswesen tätig, also meine Mutter und meine Geschwister; zum anderen war es immer schon mein Wunsch mit Menschen zu arbeiten. Mich interessieren und faszinieren die verschiedenen Lebensgeschichten. Ich bin neugierig auf die Erzählungen der im Lindenfeld lebenden Menschen. Ich konnte mich nie für medizinische Themen und Medikamente begeistern. Der Funke sprang nie über. So kam ich in die Aktivierung.

S. Mayer: Ich nehme dich als eine sehr warmherzige und geduldige Person war – für mich eine ganz wichtige Voraussetzung, um mit unseren Bewohnenden zu arbeiten. Was macht deinen Alltag speziell?
N. Guldimann: Dass es keinen Alltag in diesem Sinne gibt, sondern dass jeder Tag etwas Besonderes ist. Es gibt spannende Begegnungen, lustige Momente aber auch traurige Augenblicke. Wir lachen viel – das bringt viel Freude mit sich. Da sind so viele Erlebnisse, die mich berühren.

Mit wachen Augen Ideen sammeln

S. Mayer: Woher holst du dir deine Ideen?
N. Guldimann: Von überall! Aus Büchern, Zeitschriften, ich surfe viel im Netz, durchstöbere zum Beispiel Insta-gram, Facebook oder Pinterest. Vreni und ich tauschen unsere Ideen regelmässig aus. So kommt viel Kreatives zusammen. Ab und zu besuche ich auch einen Kurs, um Neues zu lernen. Mir gefällt das Natürliche besser als der Kitsch und das Blingbling.

S. Mayer: Stellst du den Bewohnenden jeweils mehrere Projekte vor, damit sie auswählen können oder gibt es ein Projekt für alle?
N. Guldimann: Zuerst gehe ich auf den Wohnbereich zu den Bewohnenden und stelle mich persönlich bei ihnen vor. Dann erkläre ich ihnen, was ich in der Aktivierung mache und mit welchen Materialien wir arbeiten. An-schliessend lade ich sie in eine Gruppe ein, die ihren Wünschen entspricht und sie können schnuppern, ob es ihnen gefällt. Wenn es das tut, plane ich sie fix ein.

Schöne Vogelhäuschen entstehen, die bald im Lindenfeld Lädeli gekauft werden können.


In einer Gruppe am Mittwochvormittag schneiden wir Äpfel und dörren sie anschliessend. Donnerstagvormittag malen wir, drucken mit Stempeln – daraus gestalten wir wunderschöne Karten. Am Donnerstagnachmittag ist individuelles Programm geplant. Freitagvormittag ist jeweils Männergruppe. Dort werken wir mit Holz. Aktuell entstehen Vogelfutterstellen. Am Freitagnachmittag findet unser Wissenstreff statt.

Mit Feingefühl auf vorhandene Ressourcen achten

S. Mayer: Auf was achtest du, wenn du mehrheitlich betagten Menschen arbeitest, die unterschiedliche Einschränkungen haben?
N. Guldimann: Grundsätzlich behandle ich jeden Menschen mit Respekt. Klar nehme ich die Einschränkung jeweils wahr, achte und fokussiere mich auf die vorhandenen Ressourcen sowie Fähigkeiten. Jeder Mensch hat bis zum Tod Ressourcen, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. Mir ist wichtig nicht zu überfordern, sondern positive Gefühle zu zaubern. Mich berührt es, wenn die Bewohnenden diese Wertschätzung spüren. Auch Privat habe ich den Fokus auf das Gute im Leben.

S. Mayer: Auf welches Projekt bist du besonders stolz?
N. Guldimann: Stolz bin ich auf alles. Besonders toll finde ich aber die Männergruppe, die im letzten Dezember mit zwei Bewohnern der Wohnbereiche Stadtbach und Aare gestartet ist. Diese arbeiten vollmotiviert und mit Freude. Langsam entwickelt sich eine vertraute Stimmung zwischen diesen zwei Männern. Das finde ich wun-derschön zu beobachten.

Zufriedene Menschen stimmen mich glücklich

S. Mayer: Was war das schönste Erlebnis?
N. Guldimann: Schön finde ich wenn die Bewohnenden am Ende der Aktivierungssequenz zufrieden und glücklich auf ihren Wohnbereich zurückgehen. Oft wird mir mitgeteilt, dass sie es genossen haben und dass es schön war Teil der Aktivierung zu sein. Das Lachen in ihren Gesichtern stimmt mich zufrieden. Genauso schön finde ich es, wenn sie mir ihre Gefühle und Sorgen mitteilen; wenn sie weinen können und ihrer Traurigkeit Platz geben. Ich nehme mir Zeit für die Bewohnenden.

Mit Freude an einer kreativen Arbeit sein und bleiben. Völlig versunken und mit einem Lächeln auf den Lippen.


S. Mayer: Gab es auch eine Situation, die dich nachdenklich gemacht hat?
N. Guldimann: Ja, auch das gibt es. Wenn ich zum Beispiel hilflos bin bei ihren Leiden. Wenn nichts zu nützen scheint und sie keine Lebensfreude mehr verspüren.

S. Mayer: Gibt es mal eine grössere Ausstellung, an der du ein Potpourri an kreativen Werken gemeinsam mit den Bewohnenden vorstellst?
N. Guldimann: Momentan ist nichts geplant. Was noch ansteht 2024/2025 ist die Abschlussarbeit meiner Ausbildung. Die wird 2025 im Lindenfeld fertig. Gedanklich habe ich eine Idee. Das Ziel der Abschlussarbeit ist etwas mit den Bewohnenden zu machen, was es im Lindenfeld noch nicht gibt. Ich bin gespannt und freue mich!

S. Mayer: Was möchtest du der Leserschaft noch mitteilen?
N. Guldimann: Hebet sorg! Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben. (angelehnt an: Wilhelm von Humboldt)

S. Mayer: Ich danke dir, liebe Nadine, für das aufschlussreiche Gespräch. Ich spüre, dass dir der einzelne Mensch sehr am Herzen liegt und du darauf achtest, dass deine Aktivierungen ressourchengerecht sind. Ich freue mich, wenn ich eure Werke im Lindenfeld und auch im Lindenfeld Lädeli sehe. Viel Freude weiterhin!