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Jun

Der feste Glaube an den Menschen und die Kraft des Seins – Sylvia Wyss, Wohnbereichsleiterin Wyna, geht in Pension

Am Freitag, 9. Juni verabschiedete sich Sylvia Wyss aus dem aktiven Berufsleben und somit auch aus dem Lindenfeld. Ein Abschied, der einen gebührenden Rückblick verdient und ihre Antworten als (Zukunfts-) Vision betrachtet werden können. Mein Interview mit der nun ehemaligen Wohnbereichsleiterin.



S. Mayer-Jacober: Heute ist dein letzter aktiver Arbeitstag im Lindenfeld. Wie fühlst du dich?
S. Wyss: Ich fühle mich sehr gut, bin dankbar, dass mir diese Aufgabe damals anvertraut worden ist. Zudem bin ich auch stolz auf mich: Visionen, die ich gehabt habe und natürlich immer noch habe, durfte ich umsetzen. Auch fühle ich eine grosse Vorfreude auf das, was jetzt neu Platz bekommen darf.

Ich habe dich immer als eine sehr ruhige, besonnene und auf das Individuum zugehenden Menschen wahrgenommen. Wie würdest du deine Einstellung zum Thema Führung in der Pflege beschreiben?
Meine Einstellung zu Führung ist, dass ich wissen muss, wer ich bin und was ich ausstrahlen möchte. Mir war und ist immer noch wichtig, wie wir von der Angst weg hin zur Freude im Tun kommen können. Mir ist wichtig jeden Mitarbeiter dort zu bestärken, wo seine Fähigkeiten sind. Bei Fehlern nicht nach Schuldigen suchen, sondern die Lehren daraus ziehen und es ein anderes Mal besser machen. Unsere Energie soll auf Lösungen gerichtet werden, dann können die Lösungen auch gedeihen. Damit meine ich, von der hemmenden Idee, etwas falsch zu machen, in die Freude am Lernen zu kommen. Führung ist für mich, jedem auf Augenhöhe zu begegnen – wir haben verschiedene Aufgaben und Rollen, wir brauchen ein Für- und Miteinander. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch die gleichen Grundbedürfnisse hat, wie etwa gehört, gesehen, anerkannt und geliebt zu werden.

Du warst über 14 Jahre als Wohnbereichsleiterin auf der Wyna unterwegs. Was waren deine prägendsten Erlebnisse?
Mein prägendstes Erlebnis war sicherlich die Corona-Zeit. Auf der einen Seite konnte ich es nicht fassen, wie schnell es geht, dass Menschen nur noch auf Massnahmen reagieren müssen und nicht mehr selber aktiv ihr Leben entwickeln und gestalten können. Auch, was mit den Menschen passiert, wenn sie nicht mehr ihren Besuch empfangen dürfen. Mir wurde bewusst, wie wichtig für den Menschen Nähe zu anderen Menschen ist. Dann fand ich auch eindrücklich miterleben zu können, wie solidarisch wir Lindenfelder:innen untereinander sind – auch wenn wir nicht immer gleicher Meinung waren. Prägend war für mich auch einsehen zu müssen, dass sich nicht alle Mitarbeitende eine flache Hierarchie wünschen. Meiner Meinung nach gibt bzw. schiebt man so die Eigenverantwortung ab.

Warum hast du dich damals für einen Beruf in der Pflege entschieden? Was war deine grösste Motivation?
Meine grösste Motivation damals war, Menschen in ihrem Kranksein zu unterstützen. Heute ist es eher den Menschen zu helfen und sie darin zu unterstützen ihre Kraft und ihr eigenes Heil zu finden.

Wenn du an deine Zeit im Lindenfeld zurückdenkst, wie würdest du sie beschreiben?
Hier durfte ich für mich wertvolle Erfahrungen und Entwicklungen machen. Zum Beispiel, wie wichtig das Thema Kongruenz beim Umgang mit demenzerkrankten Menschen hilft – das hilft natürlich überall und immer. Ich durfte mein Sein einbringen, erhielt Unterstützung, wie ich das, was ich will, auch umsetzen kann. Ich bin dankbar, dass ich vor 14 Jahren den Weg ins Lindenfeld gefunden habe. Ein Miteinander und Füreinander durfte ich hier wirklich erfahren.

Was können wir Lindenfelder:innen aus deiner Wahrnehmung besonders gut und was gelingt uns noch nicht so gut?
In diesem Haus werden Mitarbeitende nach ihren Fähigkeiten gefördert. Es kann jeder seinen Platz finden und zum Wohlergehen Aller beitragen. Die Leitung sucht, gerade in schwierigen Zeiten, nach neuen Möglichkeiten und bleibt nicht in der scheinbaren Ausweglosigkeit hängen. So durften und dürfen wir uns auch weiter entwickeln. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir zu lange am Detail hängen bleiben, statt zu vertrauen, dass das Anvisierte auch erreicht wird.

Welche Projekte nimmst du nun in Angriff? Kommst du vielleicht als freiwillige Mitarbeiterin wieder ins Lindenfeld?
Mein neues Projekt ist: Bewusst–Sein; Menschen begleiten, entweder in Gruppen oder Einzeln – in ihre Kraft zu kommen, dies durch Gespräche und/oder durch Übungen, um es erfahr- und spürbar zu machen. Natürlich werde ich mehr reisen, wandern, lesen, malen usw. Ich weiss, dass es mir sicher nie langweilig sein wird. Vielleicht werde ich auch den Weg wieder als freiwillige Mitarbeiterin ins Lindenfeld finden…

Was möchtest du uns mit auf den Weg geben?
Sich dessen bewusst sein, dass Gedanken Wirklichkeit erschaffen können und ein jeder darf sich fragen was will ich?

Vielen Dank, liebe Sylvia, für deine sehr persönlichen Ausführungen. Dein Urvertrauen in den Menschen und in das Sein spürte ich jedes Mal, wenn wir uns begegnet sind, und das hast du auch auf „deinem“ Wohnbereich verkörpert. Gute Gedanken für dich und deine vielen, spannenden Projekte!

Simone Mayer-Jacober, Leiterin Kommunikation & Marketing