06
Apr

Wiedersehen nach 60 Jahren im Lindenfeld – eine Geschichte, die das Leben wunderbar geschrieben und beschrieben hat

Frau Mathilda Dietiker, 84 Jahre, wohnt seit Oktober 2022 und Frau Theresia Leuenberger, 87 Jahre, seit Dezember 2022 im Lindenfeld. Beide Frauen stammen aus der kleinen Ortschaft Klein Warasdorf im Burgenland, einer Gemeinde mit 418 Einwohner:innen und ganze 875 km von Suhr entfernt. Dass sich die beiden Frauen nach über 60 Jahren im Lindenfeld wieder begegnet sind, grenzt an ein kleines Wunder.

Ich durfte Frau Leuenberger und Frau Dietiker auf ihrem Wohnbereich besuchen und ihre wunderschöne Geschichte hören.
Frau Leuenberger erinnerte sich, dass sie an einem Abend ins Stübli zum Abendessen ging und ihr das Profil der neuen „Mitbewohnerin“ irgendwie bekannt vorkam. Angesprochen auf ihren Namen, ob sie nicht Mathilda hiesse, sagte die angesprochene Frau Dietiker, ja man würde sie Thilda nennen.

Wir waren sprachlos, es war einfach unwirklich!
Beide konnten es nicht glauben, dass sie sich gegenüber sassen. „Ich fragte Theresia, wo sie denn aufgewachsen sei. Und sie entgegnete im Burgenland, genaugenommen in Klein Warasdorf. Ich konnte es nicht glauben, dieser Moment war unvorstellbar.“ „Wir kannten uns damals nicht sehr gut, denn wir sind jeweils im anderen Dorfteil aufgewachsen. Aber Klein Warasdorf ist wirklich klein, da kennt Jeder jeden,“ so Frau Leuenberger.

„Ich war 21 Jahre alt, als ich in die Schweiz kam“, erinnert sich Frau Leuenberger. „Damals, in den 50iger Jahren, waren auch meine Geschwister bereits in der Schweiz. Meine Mutter habe ich früh verloren; also wollte ich auch wieder in die Nähe meiner Geschwister. Ich wurde in Brittnau heimisch und habe in Zofingen in der Strickerei gearbeitet. Wir hatten gute Ware. Aber eben, die Firma gibt es schon lange nicht mehr.“ Ein wehmütiges Lächeln breitet sich auf Frau Leuenbergers Gesicht aus.

Das Fernweh bewegte zum Wegzug in die Schweiz
„Ich wollte einfach in die Fremde gehen“, so Frau Dietiker. Ich war zunächst in Wohlen zu Hause, habe in der Küche und später im Service gearbeitet. Dann habe ich geheiratet. Die Ehe hielt 60 Jahre. Mein Mann ist erst kürzlich verstorben. Das schmerzt mich immer noch sehr. Und dann dieses Treffen mit Thilda – das alles ist einfach unfassbar.“ Frau Dietiker schaut ihre Bekannte an – beide Frauen schweigen einen Moment und hängen ihren Gedanken nach.

Sanft nehme ich wieder den Gesprächsfaden auf und frage, was sie ins Lindenfeld gebracht habe. „Mein Mann war im Lindenfeld, nachdem er einen Schlaganfall hatte“, erzählt Frau Dietiker. „Ich war regelmässig zu Besuch. Ich merkte, dass ich zu Hause unsicherer wurde, oft war mir schwindlig und ich hatte Angst, dass mir etwas zustossen würde. Deshalb habe ich mich entschieden ins Lindenfeld zu kommen.“

Ob es ihr hier gut gehen würde, frage ich. „Ja, es ist soweit alles in Ordnung. Aber heimisch fühle ich mich noch nicht“, schliesst Frau Dietiker. „Nein, ich bin auch noch nicht ganz angekommen“, hängt Frau Leuenberger ein. „Ich wohnte sehr lange in Aarau, gemeinsam mit meinem Mann. Letzten November merkte ich, dass es auch mir gesundheitlich nicht mehr sehr gut ging – auch ich hatte Angst, dass ich stürzen würde.“

Beide Frauen sind sich einig, dass sie noch sehr gerne ein paar Jahre in ihrer vertrauten Wohnumgebung geblieben wären. „Doch der Gedanke, dass ich zum Beispiel in der Wohnung umfallen und mich niemand hören würde, liess mich den Entschluss fassen, ins Lindenfeld zu kommen“, meint Frau Dietiker. Beruhigend ist, dass beide ihr Zimmer mit persönlichen Gegenständen einrichten konnten. „Ich bin froh, dass ich Sachen mitnehmen konnte, an denen ich Freude habe und mit denen ich etwas verbinde“, so Frau Dietiker. „Schauen Sie die Pendeluhr, die ist über 100 Jahre alt“, sagt Frau Leuenberger zu mir und zeigt quer durchs Zimmer. „Die bedeutet mir sehr viel.“

Eine berührende und unglaublich schöne Geschichte, die ich an diesem Frühlingsnachmittag erzählt bekommen habe. Als Dank, dass ich ihren Ausführungen lauschen durfte, spendiere ich Kaffee und Kuchen und verabschiede mich bei Frau Dietiker und Frau Leuenberger.
Geschichten, die das Leben schreibt; manchmal unbeschreiblich und fast magisch.

Das Gespräch führte Simone Mayer-Jacober, Leiterin Kommunikation & Marketing
Bild: links Mathilda Dietiker, rechts Theresia Leuenberger.
Einverständnis zur internen und externen Publikation dieser persönlichen Geschichte liegt der Autorin vor.